Augenzeugenbericht,
es war ein erschütternder Anblick
von Heinz Deckers


10. November 1938, es war an einem Freitag. Ich war damals 15 Jahre alt und befand mich an dem besagten Vormittag im Gebäude der Kreisberufsschule im Hause Wiesenstraße 54 im obersten Stockwerk. Von da hatte man einen weiten Ausblick auf die Alt- und Neustadt.


Dann passierte es in der Mitte des Vormittags. Dicke Rauchwolken stiegen aus der Stadt- mitte und etwas weiter aus der Bahnhofsgegend auf. Die Sirenen alarmierten die Feuerwehr.


Nach kurzer Zeit hieß es "schulfrei", die Geschehnisse in der Stadt anzusehen. Wie sollte es auch bei dem damaligen Direktor der Schule anders geheissen haben?


Die Synagoge an der Ecke Kloster-/Adolf-Hitler-Straße (heute Friedrich-Ebert-Straße) stand in hellen Flammen.Die Feuerwehr schützte die umliegenden Häuser gegen das Übergreifen der Flammen. Zu mehreren Schülern machten wir einen kurzen Gang durch die Stadt.


Gegenüber der evangelischen Kirche, an der Ecke Duisburger-/Brückstraße stand das kleine Haus der jüdischen Familie Jacobs. Türen und Fenster waren eingetreten. Der gesamte Hausrat war aus den Schränken gerissen und zertrümmert. Man hatte hier furchtbar gewütet. Die Nazis hatten sich gegenüber den jüdischen Mitbürgern von ihrer zerstörerischen Seite gezeigt.


Das Waisenhaus an der Schlageterstraße - früher und heute wieder Neustraße - war äußer- lich nicht zerstört noch beschädigt. Das war ja auch klar - es war in Aussicht genommen, hier die Kreisleitung der NSDAP einzurichten. Da fanden dann auch die Trauungen unter der Fahne statt.


Im Garten des Waisenhauses am Rutenwallweg standen die etwa 30 - 40 Kinder des Hau- ses. Sie standen zusammengepfercht, ängstlich, schüchtern, jede Bewegung auf der Straße beobachtend, teils die Blicke zur Erde, teils nach oben. Von Angst und Bange waren sie gekennzeichnet. Was stand ihnen noch alles bevor?


Es war ein erschütternder Anblick.


Wir gingen weiter.
An der Bahnstraße brannte das Haus des Pferdehändlers Hugo Cohen. Auch hier schützte die Feuerwehr die umliegenden Häuser.

Dann gingen wir nach Hause.


Nach Mittag hatte ich für meine Eltern einige Besorgungen zu machen, die mich in Richtung
Scharnhorststraße führten.Von der Goethestraße aus im ersten Haus rechts wohnt die Familie Sally Stahl, die an der Bahnstraße ein Metzgereigeschäft betrieb. Aus der Wohnung im oberen Stockwerk wurden die gesamten brennbaren Einrichtungsgegenstände in das neben dem Haus brennende Feuer geworfen. Noch neue verpackte Wäsche wurde hier ein Opfer der Flammen.


In unserer Nachbarschaft auf der Blücherstraße wohnte die Familie Otto Elkan. Das Haus an der Blücherstraße und das Schuhgeschäft an der Neustraße hatten sie kurz vorher verkauft und waren nach Amerika gezogen. Die Nachbarn hatten ein gutes Verhältnis mit der Familie Elkan und wir auch mit den beiden Kindern. Es war wohl allgemein nicht bekannt, dass die Familie Elkan im November 1938 nicht mehr in Dinslaken wohnte - auch den Nazis nicht. So hatte die neue Eigentümerin alle Hände voll zu tun, um ihr Haus mit Einrichtung vor der Verwüstung durch die Nazis zu bewahren.


Das Haus Spiegel an der Bismarckstraße blieb nicht verschont. Das gesamte Mobiliar wurde aus den Fenstern in den Garten zum Park geworfen.


Wie reagierte die Bevölkerung auf diese Wahnsinnstat der NS-Machthaber?


Die Alarmierung der Feuerwehr wurde wie bei einem normalen Feueralarm hingenommen. Als dann am Nachmittag ein Lautsprecherwagen durch die Straßen der Stadt fuhr und die
Bevölkerung auf eine am Abend stattfindende Kundgebung vor den Trümmern der Synagoge
aufmerksam machte, wurden weite Kreise der Bevölkerung erst darauf aufmerksam.


Nachdem die Synagoge ausgebrannt war, hatte man die Kuppel nach innen eingestürzt. Es war ein riesiger Schutthaufen. Zur Kundgebung wurden auf den Trümmern der Synagoge brennende Pechfackeln aufgestellt. Der damalige Kreisleiter stand auf den Trümmern der Synagoge und hielt eine Rede.


Der Viehhändler Hugo Jacobs war mit einer Essener Bürgerin, geborene Geoland verheiratet. Sie war katholisch. Frau Jacobs hatte Dinslaken am 10. November 1938 nicht verlassen. Ir- gendwo hatte man ihren Aufenthaltsort ausfindig gemacht und sie wurde auch erwischt und so misshandelt und geprügelt, dass ihre Stimmbänder dabei sehr in Mitleidenschaft gezogen wurden. Nach dem Kriege, als das Ehepaar Jacobs wieder in Dinslaken ansässig wurde und sich an der Bismarckstraße ein Haus baute, machte Herr Jacobs den Nazis, oder besser gesagt dem Nazi, der seine Frau misshandelt und geprügelt hatte, einen Prozess. Trotz ärztlicher Behandlung bekam Frau Jacobs ihre Stimme nicht wieder. Sie sprach nur sehr sehr heiser.


Auch an anderen Orten liessen sich die Nazis an den jüdischen Mitbürgern aus und da auch an den Kindern.


So erfuhr ich aus meinem Verwandtenkreis am Niederrhein, dass man in der Stadt Goch jüdische Kinder in brutaler Weise misshandelt und getötet hat. Ich möchte die Grausamkeiten hier nicht weiter schildern.


Ein Denkmal im Gocher Stadtpark, das Kinder mit erhobenen Armen und Händen darstellt, erinnert an diese unmenschliche Tat.


Zum Schluß noch ein Ausspruch unseres Nachbarn Elkan von der Blücherstraße meinem Vater gegenüber "wenn man mit uns fertig ist, dann kommt ihr Katholiken dran". Das sagte er, nach dem jeder jüdische Mitbürger mit dem Judenstern gekennzeichnet wurde und ihn sichtbar tragen musste.