Das Moderne Theater – einst Dinslakens „vornehmstes“ Lichtspielhaus
von Bettina Schack

 

Die Zeit hat an der gepflegten Altbaufassade Spuren hinterlassen. Ein heller Anstrich, die Pilaster farblich abgesetzt, die Belletage wird von einem großzügigen halbrunden Erker bestimmt. Doch Fenster und Tür des Erdgeschosses mussten den blinden Schaufenstern des sich anschließenden Supermarkts weichen. Die Gemeinschaftspraxis für Chirurgie im ersten Stock erreicht man durch das Treppenhaus im Nebengebäude. Das Haus Wallstraße 31, man muss einen zweiten Blick auf die Fassade werfen, um die ehemalige Bedeutung dieses Gebäudes zu erkennen.

Fünf weiße Stuckbilder zwischen den Fenstern deuten auf die alte Bestimmung des Baus hin: zwei Masken symbolisieren die Tragödie und die Komödie, in der Mitte Apollos Leier für die Musik, dazwischen Mischwesen der griechischen Antike. Die stumme Sirene lockt ins Innere des Hauses, bereit ihr Geheimnis Preis zu geben. Dort, wo heute die hellen Räume der Arztpraxis liegen, sahen die Dinslakener die neusten Kinofilme, hörten Konzerte, verfolgten Schauspiele. Von 1923 bis 1953 war dies Haus das „Modernes Theater“.

Schon während des ersten Weltkriegs hatte Helene Trenthammer im ersten Stock der Gaststätte auf der Neustraße Kinovorstellungen mit einem Handkurbelautomat gegeben. Gemeinsam mit einem Teilhaber, Eduard Knepper, errichtet ihr Mann 1923 auf der Wallstraße das „Moderne Theater“. Das „größte und vornehmste Lichtspielhaus am Platze“, wie es in der damaligen Werbung hieß. Das war es in der Tat. Es bot Platz für circa 500 Besucher im Parkett und auf der Galerie, erinnert sich Helene Trenthammers Enkelin Heidrun Grieße, die die Kinotradition der Familie bis heute mit der Lichtburg erfolgreich fortführt. Für aufwändige Stummfilmvorführungen gab es einen Orchestergraben, man begnügte sich nicht nur mit einer einfachen Orgel. Und damit war auch die Nutzung als Theater gegeben, Operetten, Märchenaufführungen, Schauspiel. Der Beginn des „Modernen Theaters“ war überschattet von Trenthammers Tod nach einer Mandeloperation, drei Tage vor der Einweihung des Kinos. Knepper übernahm die Geschäftsführung, degradierte die Witwe und Teilhaberin zur Platzanweiserin. Großzügig zeigte er sich gegenüber der 1927 gegründeten Vortragsvereinigung. Er überließ den Dinslakenern, die das Kulturleben der Stadt mit guten Konzerten und Vorträgen bereichern wollten, den Saal kostenlos. Am 11. Januar des Jahres fand der erste Kammermusikabend statt. Ein Duisburger Streichquartett spielte Werke von Mozart, Beethoven und Schubert.

Im zweiten Weltkrieg wurde das Theater beschädigt. Die Niederrheinische Lichtspiel GMBH erhielt von der englischen Besatzung die Spielgenehmigung, einzige Auflage: Eigentümerin Helene Trenthammer wird Geschäftsführerin. 1946 flimmerten wieder Filme über die Leinwand, und auch Theater wurde gespielt. Eine harte Zeit. Alles was man fand wurde für das Kino verwendet, aber als die Familie Wintermäntel brauchte, nähte Helene Trenthammer diese aus dem roten Theatervorhang. Man improvisierte. Auch Kunstmaler Julius Seifert aus Voerde erinnert sich. Er schuf das erste Theaterplakat nach dem Krieg. Geschnitten in Linoleum, das er in den Trümmern fand, es druckten Koeller & Franke. Nicht leicht, Material in der richtigen Größe zu finden, ein Plakat muss mindestens 60 cm hoch sein um aufzufallen. Das gegebene Stück ist übrigens auch dieses Jahr wieder aktuell: Schillers „Kabale und Liebe“. Das Plakat selbst wird Julius Seifert bei seiner nächsten Ausstellung zeigen.

1953 wurde das „Moderne Theater“ renoviert. Der Anfang vom Ende. Helene Trenthammer hatte sich für eine weitere Doppelnutzung des Hauses als Kino und Spielstätte eingesetzt, doch das private Theater musste der neuen Stadthalle weichen. Noch vier Jahre wurde das Kino unter dem Namen Park-Theater fortgeführt, dann an die Baugesellschaft Brüggemann verkauft. Als Teil des Wallkaufhauses und seines Nachfolgers blieb der Saal weitgehend erhalten, 1991 erfolgte eine Kernsanierung. Seit dem erzählen nur noch die griechischen Stuckbilder an der Fassade von Dinslakens altem „modernen Theater“.