Es war die Trinkhalle am Neutor

Wir fragten unsere Leserinnen und Leser nach dem alten Kiosk, den Heinrich Schmitz aufnahm und erhielten Erinnerungen an Sammelbildchen, Waagen und den „Opa Dahlmann“

von Bettina Schack


 

Heiner Stapelkamp schickte der Redaktion dieses Foto des Kiosks am Neutorplatz, das um 1911 entstanden ist.

Foto: Heiner Stapelkamp/Stadtarchiv Dinslaken

Dinslaken Was ist das für eine Trinkhalle? Diese Frage stellten wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, am Samstag auf der Themenseite über die historischen Dinslaken-Fotos von Heinrich Schmitz. Die Reaktionen waren überwältigend und beseitigten jeden Zweifel: Es handelt sich um die Trinkhalle am Neutorplatz. Und zwar um den Vorgängerbau des Vorgängerbaus des heutigen Kiosks. „Ich habe mir die Luftbilder aus den 50er Jahren im Luftbild-Geoportal angeschaut und bin mir sicher, dass es der Neutorplatz ist“, teilt uns Willy Becks mit. „Und zwar von der heutigen Malteser-Apotheke aus fotografiert. Das lange Gebäude im Hintergrund muss demnach die alte Lichtburg sein, an deren Seiten sich Ausgänge befanden. Den ehemaligen Woolworth-Bau gab es noch nicht und die Metzgerei Oberfohren wurde ja auch erst später gebaut.“ Hermann Jonkmanns verweist auf ein Bild, auf dem der Kiosk hinter dem Gebäude der Gaststätte Maaß auftaucht.

 

Rolf Schmidt gelang es sogar, die Aufnahme zeitlich einzugrenzen: „Zu sehen ist links die Außenwand der Lichtburg“, schreibt er uns, „und da das Gebäude von Oberfohren noch nicht zu sehen ist, wurde die Aufnahme vermutlich zwischen 1955 bis 1958 aufgenommen. An der Rückseite befanden sich die öffentlichen Toiletten und ich meine, es gab links eine öffentliche Fuhrwerks- und Lkw-Waage.“ Dies bestätigt auch Heinz Nellessen, der mit seiner Frau ab 1960 am Neutor wohnte. Da war der Kiosk bereits abgerissen und der Nachfolgebau etwas Richtung Neustraße versetzt errichtet.

 

Heiner Stapelkamp geht zeitlich noch weiter zurück und hat uns einen Abriss der Geschichte des Kiosks über die vergangenen 120 Jahre übermittelt. Es geht zurück in die Zeit, als auf dem Neutorplatz der große Viehmarkt abgehalten wurde. „Das Gebäude ist vermutlich der Kiosk auf dem Neutor mit der Viehwaage. Im Hinterhaus waren Toiletten für Damen und Herren für die Kirmesbesucher und in früheren Jahren für die Viehverkäufer“, berichtet Heiner Stapelkamp. Aus dem Stadtarchiv Dinslaken sind ihm Fotos gleich zweier Vorgängerbauten zu dem nun veröffentlichten bekannt: Damit erhöht sich die Gesamtzahl der Kioskbauten auf fünf.

 

Abriss oder Totalumbau

„Es muss nach 1910 ein Abriss oder Totalumbau stattgefunden haben“, erklärt Stapelkamp und verweist auf das neuere Foto im Archiv, das um 1911 entstanden sein muss: „Das Gebäude ist jetzt hell gestrichen und hat ein neues Walmdach. Man hat Geld. August Thyssen hat sich mit 5000 Mitarbeitern und neuem Werk und Zeche in Dinslaken und Lohberg fest etabliert.“ Dieses Gebäude sei wahrscheinlich im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und notdürftig geflickt worden. „Es wurde zu einem Kiosk umfunktioniert. Der Inhaber zu meiner Kindheit hieß Dahlmann (etwa 1950). Die Funktion des Walmdaches wurde aufgehoben und durch einen Drempel mit Satteldach umgebaut. Auch die vorderen und seitlichen Fenster wurden komplett verändert. Die schöne, klassische Säule wurde durch eine gemauerte Säule ersetzt. In dem hinteren Gebäude befand sich zu meiner Kindheit ein Kartoffel- und Gemüsehandel, Inh. Kettelaer o.ä..“

 

Christel Brandt, geboren am Neutor, erinnert sich daran, ihren Vater zum Haareschneiden begleitet zu haben: „Es war ein Nebeneingang und drinnen war es recht dunkel.“ Am Kiosk selbst kaufte man Kleinigkeiten – wie einzelne Zigaretten.

 

Auf dem Foto von Heinrich Schmitz vermisst Heiner Stapelkamp allerdings die Gleise der Straßenbahnen nach Lohberg und Hiesfeld, ein Grund, warum Kai Dauvermann, der das Foto restauriert hat, sich über den Standort des Kiosks unsicher war. „Auf dem ungeordnet verlegten Pflasterstreifen vor dem Bürgersteig verliefen die Schienen für die Straßenbahn nach Lohberg“, erklärt Klaus Droetboom.

 

Bilder von Filmschauspielern

Zusammen mit der Lösung des Rätsels haben uns per E-Mail auch viele persönliche Erinnerungen erreicht. „Wir nannten den Besitzer immer Opa Dahlmann und haben dort unser Taschengeld für Süßigkeiten ausgegeben“, schreibt Hans Wilhelm Voellings. „Albert Dahlmann“, präzisiert Klaus Dölken. Karin Mailänder schreibt: „Bei uns jugendlichen Mädels war sie in den 50er Jahren sehr beliebt. Dort gab es Wundertüten mit Bildern von Filmschauspielern. Wenn unser sehr knapp bemessenes Taschengeld es zuließ, wurde es dort umgesetzt. Ein sehr gefragter Star war Adrian Hoven. Es wurde untereinander getauscht. Für einen Adrian Hoven musste man einen Rudolf Prack und eine Sonja Ziemann opfern. Mein Idol Tarzan (Jonny Weißmüller) war leider nie dabei.“

 

„Die heutige Trinkhalle steht etwas versetzt“, erklärt Jürgen Leipner. Der Vorgängerbau um 1960 muss dagegen auf dem alten Standort errichtet worden sein. Denn diesen Kioskneubau überstand die Litfaßsäule mit Uhr, an der die Menschen auf Bus und Straßenbahn warten. Sie „wurde bei den Umbauarbeiten zur Bahnstraße/Am Neutor, mit dem Versprechen, sie nach dem Umbau wieder aufzustellen, entfernt“, schreibt Rudolf Sterkenburgh. „Aber sie ist wohl in dem gleichen Kanal wie das Glockenspiel verschwunden.“

Quelle: NRZ 22.12.2020